Kriege - so naturhaft sie in ihrer katastrophalen Gewalt auch scheinen mögen - sind Folgen gesellschaftlicher, vom Menschen gemachter Verhältnisse; Kriege sind nicht das Gegenteil von Zivilisation, sondern in ihrer verheerenden Verwirklichung der Idee des Fortschritts geradezu der Motor des Zivilisationsprozesses.
Was sich in den letzten Jahrtausenden an Kultur entwickelt hat, setzte sich durch Kriege durch, wurde in Schlachten erkämpft, zerstört, vernichtet - auf den Trümmern errichteten die Sieger ihre kulturellen Symbole der Macht. Wo die Armeen am blutigsten wüteten, wurde nach erfolgreicher Schlacht gerne die weiße Fahne der Humanität gehißt. Krieg als Kunst in der Antike; die Bibel und die Kreuzzüge, die europäische Neuzeit und die Bauernkriege, der amerikanische Unabhängigkeitskrieg, die französische Revolution und die Aufklärung; Dürers Apokalyptische Reiter, Kollwitz' Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg. Niemand würde wohl bezweifeln, daß Kultur und Krieg, wenn vielleicht auch in widersprüchlicher Weise, miteinander aufs innigste verbunden sind - spätestens das 20. Jahrhundert, auch mit seiner Kriegsgewalt eines der mörderischsten, das sich mit seinen kulturellen Errungenschaften (zu denen auch der Frieden gehören soll) brüstete, legte davon Zeugnis ab. Dieses Jahrhundert hat bekanntlich nicht nur die Kriegstechnologie perfektioniert, sondern auch die Kultur genannte Sphäre maßgeblich verwandelt: zur Massenkultur, zum Pop. Während die Popkultur ein großes Versprechen möglicher Glückseligkeit, Frieden und Versöhnung inszeniert, bedeutet die Atombombe den "Exterminismus", die mögliche Selbstauslöschung des Menschen - das diagnostizierte Edward P. Thompsen, der sich auch als Theoretiker der Cultural Studies einen Namen machte.
Kurzum: Kein Krieg ohne Kultur, keine Kultur ohne Krieg. So liegt auch die These nahe, daß die Kriege, die in Zeiten der Popkultur geführt wurden, von dieser beeinflußt sind, daß der Pop in den Zeiten der modernen Kriege Spuren dieses Krieges zeigt. Die Kriegsereignisse des letzten Jahres, die Beteiligung der BRD an einem Angriffskrieg im Rahmen der Nato gegen Jugoslawien und die öffentlichen Rechtfertigungen für diesen "Friedenseinsatz" der Bundeswehr schienen uns ein geeigneter Anlaß, dieser These vom Krieg-Pop-Verhältnis nachzugehen.
Bereits in der Themenvorbereitung stießen wir auf zwei Auffälligkeiten, die sich zum Teil auch in den Beiträgen dieser testcard widerspiegeln.
Erstens - und das war im Rahmen der neueren Debatten um Pop und seine Subversionspotentiale eigentlich vorhersehbar - gibt es kaum konkrete Beispiele eines irgendwie aktiven Verhältnisses zwischen Krieg und Pop, trotz des auffälligen und naheliegenden Oberflächenzusammenhangs. Soldaten hören Popmusik, Pop und Krieg vermischen sich in den Military-Soaps, Bands spielen für und gegen den Kosovo, die Aufmachung der modernen Kriegsberichterstattung, die mehr und mehr der Schnitt- und Kameratechnik von Werbung und MTV ähnlich wird, kannte man bereits aus dem Golfkrieg und den CNN-Nachrichten. Aber dennoch gibt es kaum den spezifischen und konkreten Zusammenhang, etwa den direkten Nato-Soundtrack oder eine besondere Hörertypologie der Frontsoldaten, und wenn, bedeutet sie wiederum nichts Besonderes für den Krieg, ob es sich dabei nun um GUNS'N'ROSES, BLÜMCHEN oder BÖHSE ONKELZ handelt. Insofern verlängert sich der "Mainstream der Minderheiten" auch im Kriegsfall (im übrigen wird wohl von Tom Holert und Mark Terkessidis demnächst eine umfangreiche Arbeit zum selben Thema veröffentlicht).
Zweitens erschien die Thematik vielen Autorinnen und Autoren in einer gespaltenen Doppellogik: Unter "Krieg und Pop" könne man so ziemlich alles abhandeln - und zugleich auch gar nichts. Nicht nur, weil das Thema eventuell in seiner Breite unspezifisch bleibt, sondern - und das war nun im Befund merkwürdig -, weil es gar keinen Zusammenhang zwischen Krieg und Pop gäbe (so argumentiert z. B. Felix Klopotek in seinem kurz vor Redaktionsschluß eingegangenen Text). Zudem zeigte sich in ersten Diskussionen die Gefahr, 'Krieg' und 'Pop' als Phänomene zu isolieren und als Randständigkeiten des Sozialen zu begreifen, in denen sich gewissermaßen in unterschiedlicher Weise die sozialen Verhältnisse abbilden, mal als Krieg, mal als Pop.
Das spricht schon wieder für den besonderen Blick des sogenannten Popdiskurses: Während beim allgemeinen Thema "Krieg und Kultur" Erwägungen zur Ästhetik des Schreckens, zu Kunst und Gewalt sich geradezu aufdrängen, bleibt in der Pop-Perspektive die Differenzierung von Wesen und Erscheinung vernachlässigt - und damit oft auch die Kritik am Krieg, schließlich selbst die Kritik am Pop.
Roger Behrens geht dem in seinem Einleitungsbeitrag nach und zeigt an musikalischen Beispielen, daß die Zusammenhänge zwischen Popkultur und Krieg über die lediglich symbolische Inszenierungsgewalt von "bombastischen" Soundschlachten und dergleichen hinausweisen. Von Susann Witt-Stahl, die jüngst ein Buch über Musik zur Ästhetisierung und Inszenierung des Krieges publizierte, veröffentlichen wir Auszüge aus dem Buch sowie ein Gespräch, in dem die Frage nach einem möglichen immanenten Zusammenhang der beiden Massenphänomene Krieg und Pop diskutiert wird. Tine Plesch stellt weitere Schnittstellen zwischen Pop & Krieg dar, vertieft hier vor allem hinsichtlich der Gender-Perspektive.
Exklusiv veröffentlichen wir Luigi Russolos Die Geräusche des Krieges, sozusagen ein Urtext zum Thema, wenn auch politisch umstritten. Johannes Ullmaier kommentiert ihn, mit passendem Verweis auf Karl Kraus' Die letzten Tage der Menschheit.
Dietmar Daths Text schließt an diese Problematik an. Dath spannt einen Bogen von Windham Lewis bis zur faschistischen Black Metal-Band BURZUM und zeigt daran eine grundsätzlich Ambivalenz der Moderne auf, die sich bereits bei Russolo manifestiert findet: Ästhetischer Modernismus und politische Regression lassen sich nicht notwendig voneinander trennen - im Gegenteil: Einige der radikalsten modernistischen Ansätze innerhalb der Avantgarde (Stichwort Futuris-mus) und innerhalb der Popkultur (Stichwort Industrial) sind für Kriegsbegeisterung und Faschismus anfällig gewesen.
An Daths Text anknüpfend, gibt Keith Harris einen Überblick über die Black Metal-Szene in Israel und zeigt an ihr Wege der Marginalisierung auf: Satanistischer Black Metal in Israel grenzt sich gegenüber dem eigenen Land bis hin zu antisemitischen Parolen ab und wird, weil aus Israel stammend, zugleich von der internationalen, ihrerseits meist antisemitischen Black Metal-Szene ausgegrenzt.
Das Thema Pop und Krieg provoziert die Frage nach populärer Kriegspropaganda - und popkulturellen Gegenmaßnahmen, die Albrecht Kunze in seinen Hörspielen unternimmt. Martin Büsser hat Kunze interviewt und stellt dessen Arbeit vor. Deutsche Krieger heißt ein 1996 von Andreas Ammer und FM Einheit produziertes Hörspiel - Christine Braunersreuther und Marcus Maida haben sich mit den Produzenten unterhalten und beleuchten deren Hörspiel, das sich mit der Frage auseinandersetzt, inwieweit Sprache und Tonaufnahmen als Propaganda nutzbar gemacht werden können.
"Kaum eine Bewegung hat Krieg und Gewalt dermaßen zum Thema gemacht wie Punk und später dann nahtlos Hardcore." Martin Büsser nimmt das zum Ausgangspunkt für seine Untersuchung zum Verhältnis von Punk und Krieg - und kommt zum Ergebnis, daß die vermeintliche Antikriegshaltung im Punk schnell kippen kann und auch gekippt ist: "Mit dem Moment, wo Punk die eigene Verwundbarkeit abgelegt hat und im permanenten Krieg nicht mehr bewußt Verlierer sein wollte, sondern Profiteur des Krieges, ist Punk von der radikalsten Kapitalismuskritik, die eine Pop-Subkultur vielleicht je erlebt hat, zur völligen Teilnahme am System übergegangen." Büssers Text zeigt, daß subkulturelle Strategien von Härte, Abgrenzung und Provokation in ihrer Wirkung und politischen Verortung je nach Selbstpositionierung unterschiedlich verlaufen. Gerade die Entwicklung von Punk hin zur Massenkultur hat gezeigt, daß Vereinnahmung nicht primär eine Frage der Ästhetik ist, sondern immer mit der politischen Positionierung einhergeht.
Was Punk wollte, hat heute Ausläufer bei Bands und Projekten wie ATARI TEENAGE RIOT und dem Digital Hardcore-Label. Ob deren Antiästhetik allerdings für eine politisch ernst zu nehmende Position des künstlerischen Widerstands taugt, diskutiert Markus Maida im Dialog mit Alec Empire.
Christine Braunersreuther porträtiert den Komponisten Ernst Horn, dessen Anliegen es war, über Klangcollagen jene Gewalt am Golfkrieg hörbar zu machen, die in der öffentlichen Berichterstattung bagatellisiert wurde.
Zum Krieg gehört Frieden; gerade in Zeiten der Popkultur. Frank Apunkt Schneider betritt die Kuriositätenkammer: "Zur Logik von 'Krieg' gehört, daß er nur als dualistischer Vertragspartner und Soulbrother des sogenannten 'Friedens' funktioniert." Diesbezüglich bietet der Autor einen detaillierten Einblick in die »Sakropop«-Szene, also in die Welt christlicher Popmusik, wo sich so einige Schäfchen redlich bemüht zeigen, die von Sex und Drogen durchsetzte Popkultur für Jesus und also ihre Vorstellung von Frieden nutzbar zu machen.
Eine weitere kurioses Beispiel von Kriegsrezeption in der Popkultur ist der Zeichentrickfilm South Park; Benjamin Merkle und Patrick Schmidtbauer nähern sich dem Film in einem Rezeptionsprotokoll. Das Thema Film ist freilich im Zusammenhang von Pop und Krieg überhaupt nicht kurios, sondern eher selbstverständlich. Vom Grad der Militarisierung, der Kriegsangst und der Kriegseuphorie einer Gesellschaft erfährt man nicht nur im klassischen Kriegsfilm, sondern im Katastrophenfilm allgemein. Hier wird dem Zuschauer gezeigt, so resümiert Martin B. Münch in seinem Artikel, daß das Katastrophale der jüngsten Generation dieser Filme darin besteht, Nuklearwaffen zum Heilselixier in der Errettung der Menschheit umzumünzen.
Gerade Filme hatten einmal die Funktion unmittelbarer Propaganda, Agitation für den Krieg, Rekrutierung von Soldaten. Im Zweiten Weltkrieg, in dessen Schatten sich ja die Popkultur etablierte, rekrutierte die U.S.-Army Frauen für den Militärdienst. Michaela Hampf rekonstruiert dieses Kapitel der Kriegsgeschichte: Verweise zur Popkultur ergeben sich spätetens in Hinblick auf die Plakate, mit denen Frauen für den Kriegseinsatz agitiert wurden.
Die Autorin, Gitarristin und Sängerin Elena Lange (STELLA, TGV), die Belgrad während und nach den Nato-Einsätzen gegen Jugoslawien mehrfach bereiste, schreibt über den Geschichtsrevisionismus der Neuen Mitte - ein politisches Thema, welches aber vor dem Hintergrund der popkulturellen Strategien gegenwärtiger Politikinszenierungen seine Bezüge zum testcard-Thema zeigt.
Am Beispiel des "freien" Radiosenders B92 zeigt Christina Nemec, welchen Interessengemeinschaften das Medium Radio in Kriegszeiten ausgeliefert ist.
Vor allem die letzten Beiträge mögen den Eindruck erwecken, zwar vom Krieg zu handeln, aber nicht vom Pop. Richtig daran ist, daß sie nicht den Popdiskurs bedienen und auch nicht mit der unmittelbaren Referenz auf das Popkulturelle operieren. Wenn man aber die gängige Rede vom erweiterten Popbegriff politisch ernst nimmt, dann gehören solche Untersuchungen mit in diese Ausgabe - nicht, um die Themen irgendwie dem "Popfeld" einzuverleiben und es dadurch interessant zu machen, sondern weil sich in der von Hampf oder Lange gewählten Perspektive, die vom Krieg auf den Pop blickt (während die anderen Beiträge eher vom Pop aus den Krieg betrachten), Aspekte des Verhältnisses von Pop und Krieg zeigen, die sonst unterschlagen bleiben - zum Beispiel die gesellschaftliche Dimension von Kriegsideologie (sei es die Anwerbung von Frauen für das Militär, sei es Auschwitz als Metapher), die sehr viel mit Popkultur (im Sinne von populistischer Propaganda und von als 'Pop' verkauften Herrschaftsdiskursen) zu tun hat, sich aber nicht über die herkömmliche Schnittstelle Popkultur (im Sinne von Musik, Bands, Styles) erklären läßt.
Mit Bach in der Kulturindustrie steuerte Roger Behrens einen Artikel bei, der keinen Bezug zum Themenschwerpunkt hat. Er gibt einen Einblick in die Vermarktungsstrategien klassischer Musik und deren Verwertung im Pop wie auch als Pop - als notwendige Kritik anläßlich des Bach-Jubiläums wurde er hier aufgenommen. Auch künftig wollen wir im Anhang zum Themenschwerpunkt Platz für Artikel lassen, die sich auf Aktuelles beziehen oder die den Themenschwerpunkten früherer Ausgaben etwas hinzufügen.
Wie auch schon in der Gender-Ausgabe von, konnte das Thema nicht erschöpfend behandelt werden, sondern muß sich auf einzelne Aspekte begrenzen, über die hinaus sich vielleicht Rückschlüsse vom Besonderen aufs Allgemeine ziehen lassen. Hier gilt abermals wie bereits im Hinblick auf das Thema Gender: Dies ist lediglich ein Anfang. Wir bleiben dran.